Diplomarbeit Wintersemester 2020
Performance und Installation ; ein versuchtes Selbstportrait
(ein Raum, Seife, Wasser, Kreide, Spiegelfolie)
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Schon bei meinen frühesten Schulaufsätzen wurde immer wieder das Ich am Satzanfang als Fehler, als stilistisch unschön, angekreidet. Eine rote Wellenlinie unter dem Satzanfang, die Randnotiz „nicht mit ich beginnen“ sind tief in mein visuelles Gedächtnis eingegangen.
“Von zwei Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von Einem zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts” (Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus”
Die selbstgewählte oder oktroyierte Zuschreibung einer Identität ist ein einfaches Verfahren zur Reduktion des Menschen auf einen, mitunter höchst zufälligen Aspekt seiner Existenz. Das verringert Komplexität und ordnet die Welt. Hierin liegt die Popularität von Maskerade.1 Ob in der Kunst, oder im real-life, sie ermöglicht totale Kontrolle über unser Sein, wohingegen sich die übrige Existenz eher nach Kontrollverlust anfühlt.
“Kultur” ist ein weiterer solcher Ordnungsversuch. Der rohe Stein muss erst geschliffen, poliert und in Form gebracht werden, um seinen wahren Wert und seine wahre “Schönheit” zu offenbaren. Ähnlichen Linien folgt die Argumentation, dass der Mensch erst kultiviert werden müsse, um gut, schön, ja menschlich zu werden, was er also keineswegs von Natur aus ist.
Byung-Chul Han attestiert sogar, dass gerade das Glatte die Signatur der Gegenwart sei.
Glatt ist geformt.
Glatt verletzt nicht.
Glatt ist nicht roh.
Glatt schmiegt sich an.
Glatt gefällt.
Das Glatte bietet keinen Widerstand.
Glattes ist für den Konsum bereit.
Glatteis.
Dinge, die ihre Negativität ablegen und geglättet sind, fügen sich reibungs- und widerstandslos in Ströme von Kommunikation, Information und Kapital ein. Befreit von Tiefe werden Handlungen durchsichtig.
Transparenz ist ein Positiv.
Das heutige, sich dauerhaft ausstellende Selbst, lebt in mehrschichtig transparenten Schutzräumen seiner selbst. Von innen heraus beleuchtet, sieht es nicht nach draußen. An den Fenstern erscheint dem flüchtigen Passanten oft nur eine Silhouette; Schattenwürfe die, abhängig vom Blickpunkt, oftmals ihren Ursprung vergessen machen.
Dabei ist nur die Leere vielleicht ganz transparent.
Im Angesicht eines glasklaren Überwachungskapitalismus und der Abschaffung der Geheimnisse.
Im Angesicht einer gewaltigen Umwälzung der Prozesse der Individuumswerdung.
Im Angesicht von Social-Credit, algorithmischer Gesichtserkennung, Vermummungsverbot und einer plötzlich wiederkehrenden repressiven Toleranz à la so schlimm wie früher kann es gar nicht sein.
Im Angesicht all dessen ist das Selbstportrait – das Selfie – und damit das Gesicht, das denkbar größte Politikum.
[Verse 1]
When you look in the mirror
Do you see yourself
Do you see yourself
On the T.V. screen
So you see yourself in the magazine
When you see yourself
Does it make you scream
[Chorus]
Identity is the crisis can‘t you see
Identity… Identity…
(„Identity“ Xray Spex, 1977)
1Es ist interessant, dass in manchen Sprachen, etwa dem altgriechischen „Prosopon“ ein und dasselbe Wort für Maske und Gesicht verwendet wird.
Performance (c) Bernhard Kleber
View after the performance (c) Bernhard Kleber
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